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03.11.2014

Leiter statt Leichtsinn

Am meisten passiert dort, wo man es am wenigsten vermuten würde: Haushaltsunfälle bergen große Risiken für unsere Gesundheit – und machen mitunter selbst junge Menschen zum Pflegefall.

Eigentlich ist Michael Stürmer Arzt. Doch an manchen Tagen könnte man ihn durchaus mit einem Bergführer verwechseln: Immer dann, wenn er die fünf Meter hohen Wände seines Wintergartens reinigen will. Bevor er dafür auf die Leiter steigt, streift er einen Klettergurt über, hakt einen Karabiner ein und sichert sich mit einem Seil an der Decke.

Übertrieben? Keineswegs. Stürmer ist Direktor der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie des Universitätsklinikums Göttingen. Jeden Tag landen Unfallopfer mit Brüchen, zertrümmerten Gelenken oder inneren Verletzungen in seiner Abteilung. Oft hat er auch mit jungen Patienten zu tun, die aus Unachtsamkeit im Rollstuhl sitzen oder sogar zum Pflegefall werden. Längst nicht alle haben sich ihre Blessuren im Verkehr oder beim Sport zugezogen.

Die Statistik

Tatsächlich passiert am meisten ausgerechnet dort, wo wir uns am sichersten fühlen: zuhause. Laut Statistischem Bundesamt ereignen sich jährlich mehr als fünf Millionen Unfälle in Heim und Freizeit, davon endeten im Jahr 2012 rund 8.100 tödlich. Zum Vergleich: Im Straßenverkehr starben im gleichen Zeitraum 3.600 Menschen. Generell steigt die Zahl der Unfälle seit Jahren an.

Woran liegt das? „Die Gefahren zu Hause werden oft unterschätzt“, sagt Professor Stürmer, der sich die Entwicklung damit erklärt, dass wir viel Zeit zu Hause verbringen, dort aber wenig aufmerksam sind. Wer ist schon noch vorsichtig, wenn er zum hundertsten Mal die Kellertreppe hinabsteigt? Und ist nicht jeder schon mal zum Glühbirne wechseln auf einen Stuhl geklettert, statt die Leiter aus der Abstellkammer zu holen?  

Neben schweren Krankheiten sind Unfälle die Hauptursache für Pflegebedürftigkeit bei jungen Menschen. Das Risiko aber ist den meisten gar nicht bewusst. Umfragen zeigen, dass jedem dritten Deutschen nicht klar ist, dass die meisten Unfälle im Grunde Haushaltsunfälle sind. Kein Wunder: In den eigenen vier Wänden sitzt jeder Handgriff, alles ist bekannt, wir fühlen uns sicher. Da schleicht sich schnell eine gewisse Nachlässigkeit ein – bis uns nasse Fließen, herumliegende Kabel oder heißes Fett zeigen, wie trügerisch diese Sicherheit ist.

Alltägliche Gefahren

„Mit rund 80 Prozent stellen Stürze die mit Abstand häufigste Unfallursache dar, meist von Treppen oder Leitern“, sagt Stürmer. Besonders fatal: Eigenkonstruktionen, die Leitern ersetzen sollen. Bücherstapel, Stühle, der Badewannenrand – Unfallchirurg Stürmer hat schon alles erlebt.

Seiner Erfahrung nach passieren die meisten Haushaltsunfälle, wenn man „nur noch eben schnell“ eine Spinnwebe entfernen oder ein Buch aus dem obersten Regalfach holen will. Gerade das Arbeiten über Kopf ist gefährlich. „Durch den Winkel des Nackens wird die Durchblutung des Gehirns beeinträchtigt, was auch bei jungen Menschen schnell zu Schwindel führen kann“, warnt Stürmer.

Im schlimmsten Fall ein Pflegefall

Dr. Klaus Michael Stürmer
Prof. Dr. Klaus Michael Stürmer, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie der Universitätsmedizin Göttingen und Mitglied in unserem medizinischen Beirat.
Glücklicherweise geht die Mehrzahl der Stürze glimpflich aus, etwa mit Verstauchungen, Dehnungen, Bänderrissen sowie Schürf- oder Platzwunden. Trotzdem bergen Stürze ein ernsthaftes Risiko für jede Altersgruppe. „Wenn beispielsweise Kopf oder Wirbelsäule in Mitleidenschaft gezogen werden, kann sich die Prognose deutlich verschlechtern“, sagt der Unfallchirurg. Manchmal fallen lange Rehabilitationszeiten an, mitunter ist es auch vom Un- zum Pflegefall nicht weit. Gerade junge Menschen trifft eine solche Situation meist vollkommen unvorbereitet und kann finanziell sehr belastend werden. Dabei sind gerade sie gefährdet, weil sie im Haushalt besonders aktiv sind, oft unter Stress stehen und sich gerne mal als Heimwerker versuchen. Wer glaubt, dass es ihn nicht treffen kann, irrt: Heute ist bereits jeder fünfte Pflegebedürftige in Deutschland jünger als 60 Jahre.

Achtsamkeit schützt

Was also kann man tun, um sich vor Haushaltsunfällen mit Pflegebedürftigkeit zu schützen? „Man muss sich das Risiko bewusst machen und Gefahrenquellen gezielt ausschalten“, sagt Stürmer. Dafür gelte es, Haus oder Wohnung so sicher wie möglich zu machen. So sollte zum Beispiel jede Treppe mit einem Geländer versehen werden, in Fluren und dunklen Ecken schützt eine gute Beleuchtung – dabei haben sich Bewegungsmelder als nützlich entpuppt, die selbst dann ihren Zweck erfüllen, wenn man mal keine Hand frei hat. Studien belegen, dass solche Maßnahmen das Unfallrisiko signifikant verringern.

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