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Pflege zu Hause
So lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben
Häusliche Pflege braucht professionelle Unterstützung
In Deutschland ist die Pflege zu Hause für die überwiegende Mehrheit der Pflegebedürftigen der Normalfall. Unterstützung gibt es dann von Familie, Freunden, Bekannten – oder durch professionelle Pflegedienste. Doch die sind teuer und haben mit Personalnotstand zu kämpfen. In jedem Fall bringt die häusliche Pflege jedoch entscheidende Vorteile mit sich. Was viele pflegende Angehörige dabei häufig übersehen: Sich selbst.
Renate Wagner ist nicht mehr so gut zu Fuß. Seit sie eine Hüftoperation hatte, fällt ihr das allein Einkaufen schwer und bei Spaziergängen mit der Familie kann sie nicht mehr mithalten. Heute ist Renate 91 Jahre alt und wurde auf Pflegegrad 1 eingestuft. Das ist der geringste von fünf Graden und bringt den Pflegebedürftigen 125 Euro Unterstützung pro Monat. „Das hat mir am Anfang praktisch gar nichts gebracht“, erzählt Renate. „Da kam dann jemand, hat die ganze Zeit auf die Uhr geschaut und war dann auch schon wieder weg.“ Doch dann entdeckte Renate einen anderen Dienstleister: „Das war reiner Zufall, ich saß beim Arzt und habe die Broschüre gesehen.“ Seitdem kommt alle zwei Wochen eine Dame zur Unterstützung – für zwei, manchmal drei Stunden. Damit ist Renate vollauf zufrieden.
Pflegen oder gepflegt werden ist in Deutschland für immer mehr Menschen ein Thema. Bei den Unterstützungsmöglichkeiten den Überblick zu behalten, ist kompliziert, gute Beratung wichtig. Aber genau diese Beratung steht auf der Kippe, denn in der Pflegebranche herrscht chronischer Personalmangel. Das bestätigen Qualitätsmanagerin Birgit Riemann und Pflegedienstleiterin Nicole Kasperek, die bei einem Berliner Pflegedienst arbeiten und in diesem Text zu Wort kommen. Ihre Namen sind geändert, weil ihr Arbeitgeber mit manchen kritischen Äußerungen nicht einverstanden wäre. Das liegt vor allem daran, dass Pflegedienste ihre Kunden nicht mit negativen Aussagen verschrecken möchten.
Pflegesituation in Deutschland: Die Vorteile der häuslichen Pflege
„Mit einem Dienstleister sind viele besser bedient“, weiß Birgit Riemann. Denn die Unterstützung durch Pflegefachkräfte ist im niedrigsten von fünf Pflegegraden oft nicht unbedingt notwendig. Erfahrungsgemäß ist es zuerst der Haushalt, der Schwierigkeiten bereitet. Seit der Umstellung von drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade in 2017 werden mehr Menschen in einen Pflegegrad eingestuft, die einen leichten Pflegebedarf haben.
Die allermeisten Menschen möchten so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden wohnen bleiben, egal, wie alt oder pflegebedürftig sie sind. Das ist nicht immer so leicht umsetzbar, denn es bedarf genug helfender Hände oder genügend Geld, mit dem man die Unterstützung bezahlen kann. „Wo Angehörige nicht helfen können oder wollen, kommen die Pflegedienste ins Spiel“, sagt Birgit Riemann. Ist der Pflegegrad festgestellt, entscheidet sich, wie viel Geld pro Monat zur Verfügung steht. Wer pflegende Angehörige um sich hat, bekommt Pflegegeld, alle anderen erhalten sogenannte Pflegesachleistungen. Dann steht zwar mehr Geld zur Verfügung, es muss aber auch jede Pflegeleistung bezahlt werden. Am häufigsten werden die Pflegedienste für medizinische Leistungen gebucht, wie Medikamenteneinnahme oder Wundversorgung.
Pflege zu Hause in Zahlen
Vorteile des gewohnten Umfelds nutzen, aber auch Hilfe in Anspruch nehmen
In jedem Fall ist es von Vorteil, im gewohnten Umfeld zu bleiben. Davon ist Nicole Kasperek überzeugt. Pflege ist für sie privat und beruflich ein Thema: Als Pflegedienstleiterin und bei der Pflege ihres 83-jährigen Vaters. „Die meisten haben einen Horror vor dem, was außerhalb von zu Hause ist“, berichtet Kasperek, „meistens erhält es aber auch die Mobilität und Eigenständigkeit der Pflegebedürftigen länger, wenn sie sich in ihrem gewohnten Umfeld bewegen.“ Auch soziale Kontakte könnten besser aufrechterhalten werden, wenn Angehörige in der Nähe sind. Denn auch Heime sind personell unterbesetzt und die Betreuung ist oft nicht so gut, wie es wünschenswert wäre, so Kasperek: „So lange man die Angebote in einem Pflegeheim eigenständig nutzen kann, mag es funktionieren. Aber sobald man das Zimmer nicht mehr verlassen kann, wird es schwierig.“
Damit die Pflege zu Hause gut funktioniert, hat die 59-jährige Pflegedienstleiterin einen dringenden Rat an alle pflegenden Angehörigen: „Die erste Frage sollte immer sein: Wo lasse ich mir helfen, was gebe ich ab? Als pflegender Angehöriger muss man sich selbst pflegen, sonst hält man das nicht durch.“ Viele unterschätzten die Belastung und kümmerten sich zu wenig oder zu spät um sich selbst. Als erste Möglichkeit für alle Betroffenen empfiehlt sie Selbsthilfegruppen. Kasperek erlebt den Unmut, den solche Angebote manchmal erzeugen: „‘Was soll ich denn da?‘, heißt es dann. Klar helfen die nicht praktisch. Aber es ist sehr erleichternd, mit Gleichgesinnten über die eigenen Probleme sprechen zu können.“
Unterstützungsmöglichkeiten bei der Pflege zu Hause
Wer die häusliche Pflege übernimmt, hat eine Reihe von Unterstützungsmöglichkeiten. Im Urlaub greift die Verhinderungspflege, bei der eine Ersatzperson die Pflege übernimmt. Kombiniert werden kann dieses Angebot mit der Kurzzeitpflege, bei der Pflegebedürftige bis zu 56 Tage im Jahr in einem Pflegeheim stationär untergebracht werden können. Um mehr Zeit zu haben, besteht mittlerweile auch die Möglichkeit, eine Familienpflegezeit einzulegen. Pflegende Angehörige haben zudem Anspruch auf Reha, in der sie Entspannungstechniken lernen oder psychologische Gespräche in Anspruch nehmen können. Und wer die Möglichkeit hat, Pflegeleistungen privat zu buchen, kann diese Ausgaben steuerlich geltend machen.
Gute Unterstützungsleistungen zu finden, sei daher meist nicht das Problem, sagt Nicole Kasperek: „Aber oft sagen Patienten: Nur du pflegst mich, kein anderer. Oder die Angehörigen sind es selbst, können die Aufgaben nur schwer abgeben.“ Ihr Rat ist daher, möglichst früh Hilfe in Anspruch zu nehmen: „Es geht nicht darum, das volle Paket zu machen. Erstmal hingehen zu einem Pflegestützpunkt, Beratung in Anspruch nehmen, schauen, was empfohlen wird. Das ist kostenlos, die Pflegedienste können das abrechnen.“ Pflegestützpunkte seien ohnehin die sinnvollste Anlaufstelle, ob es nun um die Suche nach einem passenden Pflegedienst, Selbsthilfegruppen oder einen Heimplatz geht.
Unterstützung finden sie hier
Freunde alter Menschen e.V.
Was tun, wenn niemand da ist, um zu pflegen? Die Freunde alter Menschen haben es sich auf die Fahnen geschrieben, gegen Einsamkeit und Isolation von Pflegebedürftigen und alten Menschen vorzugehen. Sie kommen auf einen freundschaftlichen Besuch vorbei, haben ein offenes Ohr oder organisieren sogar gemeinsam eine Veranstaltung in der Nachbarschaft. Mitmachen können alle Freiwilligen, die für mehr Solidarität in der Gesellschaft und Freude in den Gesichtern alter Menschen sorgen wollen. Aktuell hat das Projekt Niederlassungen in Berlin und Hamburg, die Organisation läuft aber überregional.
Demenz WGs
Wohngemeinschaften von Demenzerkrankten werden immer häufiger zur Alternative für die häusliche Pflege. Die Gemeinschaft sorgt vor allem für regelmäßige soziale Kontakte, aber auch dafür, möglichst lange eigenständig und aktiv zu bleiben. Gerade aufgrund des Krankheitsbildes und wenn die Unterstützungsmöglichkeiten durch Angehörige nicht in größerem Umfang geleistet werden kann, sind Demenz WGs eine gute Alternative. Die Plätze sind jedoch begehrt. Eine Demenz WG in der Nähe findet man am besten über einen Pflegestützpunkt.
Pflegestützpunkt finden
Sie brauchen Beratung oder Unterstützung bei der täglichen Pflege? Sie suchen eine Selbsthilfegruppe, um sich mit anderen pflegenden Angehörigen auszutauschen? Oder erleben Sie gerade eine Krise mit einem pflegebedürftigen Angehörigen? In jedem Fall ist die beste Adresse der nächste Pflegestützpunkt. Über das zentrale Portal können Sie den Pflegestützpunkt in Ihrer Nähe finden.
Pflege als Beruf: Es mangelt an Wertschätzung
Mittlerweile habe sich das Pflegesystem zwar flexibilisiert, nicht für jede Aufgabe müssten Pflegefachkräfte eingesetzt werden. Birgit Riemann ist der Ansicht, damit habe sich das Problem nur verschoben: „Mittlerweile sind Möglichkeiten ausgehandelt, dass auch Pflegehelfer bestimmte Leistungen erbringen dürfen. Daher kommen wir mit den Pflegefachkräften wieder besser klar. Aber jetzt suchen wir händeringend Pflegehelfer, das ist der nächste Engpass.“
Was dem Berufsstand fehle, sei Wertschätzung, darin sind sich Birgit Riemann und Nicole Kasperek einig. „Der Beruf ist schwer, körperlich und psychisch. Es ist schwierig jemanden zu finden, der das gerne macht“, sagt Kasperek. Und natürlich, es fehlt das Geld, ergänzt Riemann: „Man soll ja nicht immer die Gesetzgeber für alles verantwortlich machen, aber die Finanzierung ist einfach ein Thema. Es ist ein schöner Beruf, aber mit der aktuellen Bezahlung für viele uninteressant.“ Für die Zukunft der Pflege muss der Beruf wieder attraktiver werden, auch in Form von mehr Geld. Wird die Arbeit mehr wertgeschätzt, könnte das eine Entlastung für die gesamte Gesellschaft bedeuten. Alt werden schließlich alle Menschen.