„Ich sah die Welle auf mich zukommen“
Fischerdorf – einige Jahre nach dem Hochwasser sind nur noch die Augen feucht
Im Juni 2013 wurde Fischerdorf bei Deggendorf komplett überflutet. Zwei Jahre nach dem Hochwasser besuchen wir den Ort und fotografieren an den exakt gleichen Stellen von damals. Außerdem sprechen wir mit betroffenen Kunden, wie sie die Überflutung erlebt und verarbeitet haben. Das Gute an der Katastrophe gleich vorweg: Menschen kamen dabei zum Glück nicht zu Schaden.
War was? Dieser Gedanke schießt einem durch den Kopf, sobald man das Ortsschild von Fischerdorf passiert. In Gedanken hat man eine Geisterstadt erwartet: Leer stehende Häuser, schlammige Ruinen oder unterspülte Straßen. Doch das Gegenteil ist der Fall: das Dorf wurde renoviert und viele Häuser neu gebaut. 2015 steht Fischerdorf lebendig und blitzsauber da – mit mehr Einwohnern als noch vor der Hochwasser-Katastrophe am 12. Juni 2013.
Besuch bei Helma und Hellmuth Endl in Fischerdorf. Die zwei Rentner wohnen in einem von neun Häusern, die bei der Versicherungskammer Bayern allein in der Isarstraße versichert waren. Das Ehepaar berichtet bei Kaffee und Keksen überraschend gefasst und detailliert von der Hochwasser-Katastrophe. Das liegt nicht nur an den zwei Jahren Zeit, die mittlerweile vergangen sind. Sondern auch daran, dass sich Helmuth Endl auf 50 Seiten die Erlebnisse von der Seele geschrieben hat.
Es ist 14:30 Uhr am Mittwoch, den 5. Juni 2013. In den letzten Tagen haben Feuerwehr, Bundeswehr, Katastrophenschutz und viele Helfer einen zusätzlichen meterhohen Deich auf der Autobahn nach Passau aufgeschüttet und die Autobahnunterführung dicht gemacht. Helmuth Endl glaubt sich sicher, da die Donau noch einen Meter Luft bis zur Dammkrone hat. Zudem hat der ehemalige Schreiner und Berufsschullehrer Fenster, Türen und das Garagentor verbarrikadiert und mit Silikon abgedichtet. Es ist 17 Uhr und Fischerdorf wie ausgestorben. Ehefrau Helma schläft wie viele Nachbarn bei Freunden, andere haben sich in der Stadthalle in Sicherheit gebracht. Helmuth Endl ist allein Zuhause, als der Isardamm reißt. „Ich schau aus dem Dielenfenster und sehe eine Welle heranrollen“, erzählt er und zeigt in Richtung Autobahn. 30 Festmeter Holz und damit stundenlange Arbeit treiben von der Terrasse lautlos auf und davon. Im Keller knallt es laut – die Absperrung bricht weg und das Wasser schießt nun ungehindert ins Haus. Eine alte Uhr und lieb gewonnenes Erinnerungsstück bleibt bei 23:28 Uhr stehen. Das Wasser steigt durch Toilette, Ritzen und Kabeldurchlässen in das obere Stockwerk. Helmuth Endl kriegt kaum ein Auge zu, ein allgegenwärtiger Ölgestank hindert ihn am Schlafen. Am nächsten Morgen sammelt ihn ein Rettungsboot ein. Ganz Fischerdorf, jedes Haus und jeder Schuppen stehen nun meterhoch unter Wasser.
Tage und Wochen danach: eine Welle der Hilfsbereitschaft
Mit am Tisch sitzt Günther Handke, der Sachverständige der Versicherungskammer Bayern. Der Diplom-Ingenieur half mit seinen Kontakten und seiner Erfahrung nicht nur dem Ehepaar Endl, sondern auch noch acht weiteren Versicherten Hausbesitzern in der Isarstraße. Noch heute ist Hellmuth Endl begeistert von der Abwicklung: „Herr Handke wusste Schritt für Schritt, was zu tun ist und gab uns eine klare Linie vor“. Schadenaufnahme, Entkernung, Trocknung und chemische Untersuchung durch das Institut für Schadenforschung (IFS) – alles organisiert und koordiniert vom Versicherungs-Sachverständigen Günther Handke.
In den nächsten Wochen und Monaten schaute der Mann von der Versicherungskammer Bayern immer wieder beim Ehepaar Endl vorbei, klärte große Probleme und kleine Details. Er hat miterlebt, wie die beiden Rentner monatelang im ersten Stock nur mit einem Thermomix kochten und außer 4 Teller und Tassen nichts an Geschirr hatten. Wer zu Besuch kam, musste eigenes Geschirr mitbringen. Und Besuch gab es jede Menge: Denn größer als die Flutwelle war die Welle der Hilfsbereitschaft. Nachbarn, Menschen aus der Umgebung, Bundeswehr-Soldaten und Studenten nahmen sich erst Zeit und dann die Schaufeln in die Hand. Sogar ein ehemaliger Bürgermeister aus Garmisch kam vorbei und packte mit an. Dieser hatte 2005 selbst eine Überschwemmung mitgemacht und am eigenen Leib gespürt, wie der eigene Besitz in brauner Brühe versinkt oder davontreibt.
Ende gut, alles gut: nach dem Wasser fließt das Geld
Über zwei Jahre später sind Spuren des Hochwassers kaum noch zu finden. Auch in den Gesichtern von Helma und Hellmuth Endl sieht man nur noch Lebensfreude: „Am 23. Dezember 2013 kam die neue Küche – ab dann war unser Haus fertig und aller Ärger und Trauer wie weggespült“, erzählen die beiden. Versicherungs-Sachverständiger Günther Handke nennt dazu beeindruckende Zahlen: Dem Ehepaar Endl wurde mit insgesamt 390.000 Euro geholfen – von der Entkernung bis zur letzten Fliese. Insgesamt flossen von der Versicherungskammer Bayern über 1.900.000 Euro zu den Versicherten in der Isarstraße. In ganz Bayern regulierten wir 4.010 Überschwemmungsschäden durch das Hochwasser 2013 mit einer Schadensumme von 88.045.679 Euro. Dass das keine Selbstverständlichkeit ist, berichtet Hellmuth Endl: Noch heute streiten sich Nachbarn mit ihrem Versicherer vor Gericht und warten auf ihr Geld. „Statt Hilfe haben die als Erstes ein Kündigungsschreiben bekommen“, erzählt er fassungslos. Als wir uns verabschieden, bleibt Günther Handke noch da und plaudert mit dem Ehepaar Endl noch ein wenig weiter. Aus dem Sachverständigen ist ein guter Bekannter geworden.
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